Von Bernhard Odehnal, Wien, und Thomas Knellwolf,Tages-Anzeiger
In einem Fall von Rechtshilfe patzte die Schweizer Justiz. Ein Versäumnis gefährdet aufsehenerregende Ermittlungen in Österreich. Die Fallbearbeiterin der Zürcher Staatsanwaltschaft hat ihre Stelle verlassen.
Wiener Ermittler warten seit fast zwei Jahren auf Beweismaterial aus der Schweiz, von dem sie sich viel versprechen. Es geht um zwei spektakuläre Justizfälle in der an Korruptionsaffären nicht gerade armen Zweiten Republik: um die Causa Meinl und die Causa Grasser. Nun stellt sich heraus: Die Ermittlungen in Österreich werden behindert, weil in der Schweiz bei der Rechtshilfe nicht alles rund läuft. Eine Staatsanwältin aus Zürich, die mit einem der beiden Fälle betraut war, hat kürzlich ihre Stelle aufgegeben. Das zeigen TA-Recherchen. Corinne Bouvard, die Sprecherin der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft, bestätigte den Abgang, wollte aber zu den Umständen keine Angaben machen.
Eine nicht restlos geklärte (Haupt-)Rolle spielt in beiden Fällen Österreichs ehemaliger Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Er wird verdächtigt, bei der Privatisierung der Bundeswohnungsgesellschaft (Buwog) zur Zeit der schwarz-blauen Koalition in Österreich Schmiergeld kassiert zu haben, das er über die Konten einer Schweizer Briefkastenfirma namens Ferint zu Stiftungen in Liechtenstein, auf Zypern und den Virgin Islands verschob. Dabei sollen ihm die Schweizer Wirtschaftstreuhänder Heinrich S. und Norbert W. geholfen haben. Beide haben Firmen mit Sitzen in der Schweiz und Liechtenstein, bei denen im April 2011 auf Ersuchen der österreichischen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Korruption und Wirtschaftsstrafsachen Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden.
Heinrich S. ist auch Beschuldigter in der Causa Meinl. Er war Direktor bei einem der vom österreichischen Industriellen Julius Meinl gegründeten Investmentfonds, gegen den wegen des Verdachts des Anlegerbetrugs ermittelt wird. Minister Grasser wurde nach seinem Ausscheiden aus der Politik Manager eines Meinl-Investmentfonds und soll seine Provisionen von rund 9 Millionen Euro nicht ordentlich versteuert haben.
Das Gesetz nicht im Griff
Während im Fall Grasser erste Aktenstücke aus Zürich in die österreichische Hauptstadt geliefert worden sind, sieht es im Fall Meinl für die Korruptionsstaatsanwaltschaft schlecht aus – und dies, weil die Kollegen in Zürich die neue schweizerische Strafprozessordnung nicht völlig im Griff hatten.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft musste im vergangenen Frühjahr umfangreiche Unterlagen, die sie bei Hausdurchsuchungen im April 2011 beschlagnahmt hatte, an die ursprünglichen Besitzer zurückgeben. Der schweizerischen Öffentlichkeit blieb dies bislang verborgen, obwohl der entsprechende Gerichtsentscheid bereits im April 2012 gefallen war.
Doch damit nicht genug: Auch die österreichischen Strafverfolger haben nicht etwa offiziell aus dem westlichen Nachbarland erfahren, dass ihnen wichtige Beweismittel vorenthalten bleiben. Vielmehr wurden sie laut eines Berichts des österreichischen Radiosenders Ö 1 von den Anwälten der Verdächtigten darauf aufmerksam gemacht.
Der Zürcher Staatsanwaltschaft war in der Causa Meinl ein folgenschwerer Fehler unterlaufen. Ihre Abteilung für Rechtshilfe hatte die konfiszierten Materialien zwar versiegeln lassen – wie es sich gehört. Doch dann verpasste sie es, rechtzeitig den nötigen Antrag auf eine Entsiegelung zu stellen. Die 20 Tage Frist verstrichen ungenutzt.
Unumgängliche Verjährung
Als sie ihr Malheur bemerkte, versuchte die Staatsanwaltschaft mit Verspätung und über einen Umweg, beim Zürcher Obergericht doch noch die Erlaubnis zu bekommen, die Akten auszuwerten. Die Zwangsmassnahmenrichter winkten ab. «Die Frist war abgelaufen», sagt Andrea Schmidheiny, Sprecherin des Obergerichts, «deshalb war eine Entsiegelung nicht möglich.» Die Gesetzesbestimmung scheint eindeutig: «Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben.» Die Staatsanwaltschaft sah die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens ein und zog das Urteil nicht weiter. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Unterlagen an die ursprünglichen Besitzer zurückzugeben.
Die Schweizer Rechtslage sei eben sehr mühsam und für die Arbeit der österreichischen Ermittler «nicht hilfreich», sagt die Sprecherin der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien, Alexandra Maruna. Derzeit wird die Teillieferung aus Zürich ausgewertet. Aber um einen Überblick über die Zahlungsflüsse zu bekommen, «brauchen wir alle Dokumente», sagt Maruna. Sie hat zwar den Eindruck, «dass die Kollegen in Zürich schnell arbeiten», weiss aber nichts Genaues über den Stand des Auslieferungsverfahrens. Die österreichischen Ermittler haben dabei keine Parteistellung, sie werden also von der Zürcher Staatsanwaltschaft nicht informiert.
Karl-Heinz Grasser beschwert sich immer wieder öffentlich über die Vorverurteilung in seinem Fall und die Länge des Verfahrens: Die dreijährigen Ermittlungen bedeuteten massive finanzielle Schäden für ihn. Er sei «eines der grössten Justizopfer der letzten Jahre in Österreich».
Dabei sind es die Anwälte von Grassers Partnern in der Schweiz, die das Verfahren jetzt in die Länge ziehen. Würden sie einer Auslieferung der beschlagnahmten Dokumente zustimmen, könnten diese noch diese Woche nach Wien geschickt werden. Doch die Anwälte schöpften lieber alle Rechtsmittel aus, die ihnen in der Schweiz zur Verfügung stehen, sagt die Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft: «Man kann nicht sagen, dass hier die höchste Kooperationsbereitschaft besteht.»
Liechtenstein ist schneller
Auch in Liechtenstein versuchten die Anwälte der Beschuldigten, die Auslieferung der Akten zu verhindern. Nach einem längeren juristischen Streit hat der oberste Gerichtshof in Vaduz allerdings Mitte Dezember die Überstellung der Unterlagen angeordnet. Sie sind derzeit auf dem Weg nach Wien. Der Liechtensteiner Anwalt eines Beschuldigten hatte zuvor Akten widerrechtlich aus dem Gericht entwendet und sie erst nach einem Monat wieder zurückgegeben. Ein Mitarbeiter der renommierten Anwaltskanzlei Marxer & Partner wurde dafür in erster Instanz zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.
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